Rückblick: Netzwerktreffen 2024
In diesem Jahr stellt die Allianz für Beteiligung das Thema Breite Beteiligung in den Mittelpunkt
Am 19. Juli fand unser alljährliches Netzwerktreffen in Tübingen statt. Seit Vereinsgründung ist das Netzwerktreffen die zentrale Veranstaltung im Jahr für den Austausch unserer Netzwerkmitglieder: Initiativen, Vereine, Verbände, aber auch Vertreter*innen von Städten, Gemeinden und öffentliche Einrichtungen haben die Möglichkeit, sich an diesem Tag mit aktuellen Fragen rund um die Stärkung der Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg auseinanderzusetzen.
In diesem Jahr stand das Thema Breite Beteiligung im Mittelpunkt. Breite Beteiligung bedeutet für uns, dass sich alle Menschen ohne Hürden an der Gestaltung ihres Lebensumfelds beteiligen können, wenn sie das wollen. Das Thema ist herausfordernd, denn es erfordert eine selbstkritische und reflektierende Sicht auf die Grenzen der eigenen Wahrnehmung und des eigenen Wissens. Das galt sowohl für die barrierearme Gestaltung des Netzwerktreffens und allgemein für unsere alltägliche Arbeit und für die Arbeit unserer 150 Gäste vor Ort.
Formate-Mix: Von der Fishbowl-Diskussion bis zum Input von Staatsrätin Barbara Bosch
Das Programm des Netzwerktreffens spiegelte das wider: Wolfgang Klenks Impuls, die nachfolgende „Fishbowl-Diskussion“ und das Interview mit Frau Staatsrätin Barbara Bosch sondierten den großen gesellschaftspolitischen Kontext in dem Breite Beteiligung heute stattfindet und erforderlich wird. Gleichzeitig kamen bereits einige grundlegende Herausforderungen und Spannungsfelder bei der Umsetzung und Etablierung Breiter Beteiligung in kommunalpolitischen und zivilgesellschaftlichen Strukturen zur Sprache. Die fünf Workshops am Nachmittag trugen der praktischen Umsetzung von Breiter Beteiligung an verschiedenen Zeitpunkten der Projektrealisierung Rechnung: Von der Prozessplanung, der adäquaten Zielgruppenansprache, der Durchführung einer Veranstaltung, bis hin zu Dokumentation der Ergebnisse.
„Die Netzwerktreffen sind eigentlich wie ein Familientreffen“, so Anni Schlumberger, Geschäftsführung der Allianz für Beteiligung, bei der Eröffnung der Veranstaltung. Und das stimmt: bereits beim Ankommen war das angeregte Gemurmel und das fröhliche Geplauder der Gäste zu hören. Man freute sich, alte Bekannte wiederzusehen und neue Personen willkommen zu heißen.
Zur Begrüßung und zum Start in den Tag, erinnerten unsere Vorständinnen Dr. Christine Dörner und Gabriele Reichhardt alle Anwesenden daran, dass sich gutes und erfolgreiches Engagement stets aus eigener Betroffenheit und einer sensiblen Wahrnehmung für die eigene Umwelt speise. Mit Blick auf die Arbeit der Gäste, egal ob aus Zivilgesellschaft oder im öffentlichen Dienst, wünschten sie allen viel Erfolg bei der Entwicklung klarer Ziele und Visionen, die Bereitschaft klein anzufangen und einen langen Atem.
Wolfgang Klenk führte die Zuhörenden daraufhin in seinem Vortrag in das Thema Breite Beteiligung ein und erläuterte auch, wie sich Maßstäbe zur Breiten Beteiligung inzwischen in der Arbeit der Allianz für Beteiligung etabliert haben. Anstatt akademische Diskurse über Breite Beteiligung wiederzugeben, sei die Allianz für Beteiligung an der Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Politik in einer ausgezeichneten Position, praktisches Wissen über Breite Beteiligung im Dialog mit den Netzwerkpartner*innen zu sammeln und zu kanalisieren. Im Nachgang des Vortrags setzte bereits eine sehr angeregte Diskussion im Plenarsaal ein und es gab eine ganze Reihe an Fragen, bestätigenden Praxisbeispielen, Zustimmung und Widerrede zu den genannten Punkten.
Über Qualität und Quantität von Beteiligungsprozessen
Viele Kommentare bezogen sich auf das Spannungsfeld zwischen der Qualität und Quantität von Beteiligungsprozessen und den gesellschaftlichen Implikationen vom einen und vom anderen. Weitere Fragen drehten sich um den richtigen Moment für einen breiten Beteiligungsprozess: wann ist es angemessen nur zielgruppenspezifisch zu arbeiten, und wann ist es sinnvoll einen Prozess zu öffnen? In der anschließenden Pause wurde beim ersten oder zweiten Kaffee des Tages angeregt weiterdiskutiert. Viele der offenen Fragen und Herausforderungen beim Thema Breite Beteiligung wurden bei der nachfolgenden Fishbowl Diskussion aufgegriffen oder vertieft.
Zur Fishbowl-Diskussion begrüßten Anni Schlumberger und Hannes Schuster von der Allianz für Beteiligung drei Gäste auf der Bühne: Elke Arenskrieger (EKiZ Stuttgart e.V.), Dr. Gundula Schäfer-Vogel (Bürgermeisterin für Soziales, Ordnung und Kultur der Stadt Tübingen), sowie Erkan Binici (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Islamische Theologie der Uni Tübingen). Neben den verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten brachten die Gastredner*innen Erfahrungen mit Breiter Beteiligung vom Standpunkt verschiedener Institutionen mit in die Diskussion: Von der langjährigen Arbeit in Initiativen, der Stadtverwaltung hin zum akademischen Betrieb.
Ein wiederkehrendes Thema bei der nachfolgenden Frage-Antwort-Runde war die konkrete Ausgestaltung einer Breiten Beteiligung, die auf die Menschen zugeht. Wie bei einer Fishbowl-Diskussion üblich, blieben zwei Stühle auf der Bühne anfangs frei. Hier konnten Personen aus dem Publikum in der fortschreitenden Debatte Platz nehmen und sich in die Diskussionsrunde einklinken. Zu unserer großen Freude wurde diese Möglichkeit vom Publikum eifrig genutzt. Die Teilnehmenden teilten eigene Projekterfahrungen und berichteten, wie sie dem Ziel der Breiten Beteiligung nähergekommen sind oder was dafür notwendig war: Gutes Zuhören, Zeit und Ressourcen für Beziehungsarbeit und die Schaffung von Begegnungsorten wurden dabei immer wieder genannt. Hierbei wurde der Anspruch der Teilnehmenden an sich selbst, sowie an Beteiligungsprozesse im Allgemeinen deutlich.
Den Nachmittag läutet Staatsrätin Bosch mit dem Blick des Landes auf das Thema Breite Beteiligung ein
Im Gespräch zwischen Staatsrätin Barbara Bosch und Anni Schlumberger nach der Mittagspause wurde ein landespolitischer Blick auf das Thema Breite Beteiligung geworfen. Zu Beginn verdeutlichte Frau Staatsrätin Bosch ihren allgemeinen – wie auch persönlichen – Anspruch für Beteiligungsprozesse: Bürgerbeteiligung funktioniere dann, wenn man mit Freude und Neugier aufeinander zugehe und nicht „miesepetrig“ bei der Sache sei. Breite Beteiligung sei wichtig, um auch der „stillen Mitte“ der Gesellschaft Gehör zu verschaffen. So könne die deutsche Debattenkultur verbessert werden, die aktuell durch die Überrepräsentation undemokratischer Stimmen geprägt sei.
Gleichzeitig wies Frau Staatsrätin Bosch darauf hin, dass Bürgerbeteiligung kein Selbstläufer sei. Eine Schwierigkeit ergebe sich insbesondere durch die schwindenden finanziellen Möglichkeiten des Landes und der Kommunen. Umso wichtiger sei es daher, dass die Gäste ihre Arbeit und ihr Engagement für Breite Beteiligung auch weiterhin verfolgen, damit das Thema immer wieder im gesellschaftlichen Diskurs auftaucht.
In der darauffolgenden Workshop-Phase gab es viele Gelegenheiten, Verbündete zu finden und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung von Breiter Beteiligung im eigenen Projekt kennenzulernen: Insgesamt gab es fünf verschiedene Workshops, von denen die Teilnehmenden zwei besuchen konnten. Nach einer Feedback-Runde im Plenum fand das Netzwerktreffen seinen Ausklang auf der Dachterrasse der Westspitze. Mit Sandwiches, einem kühlen Getränk und Panoramablick über Tübingen ging so ein inspirierender Tag zu Ende.
Wir bedanken uns herzlich bei allen Teilnehmenden für das Mit- und Weiterdenken, ihre aktive und beherzte Teilnahme und für die vielen guten Ideen und Gespräche!
Eine umfassende Dokumentation der Veranstaltung werden wir in den kommenden Wochen veröffentlichen.
Ein Beitrag von Annika Bachmann und Enno Walkenfort