Breite Beteiligung ganz praktisch

2. September 2020

„Sich beteiligen ist ein Recht für jeden“. Dieses Motto haben wir uns bei der Arbeit rund um die Breite Beteiligung auf die Fahnen geschrieben. Gemeinsam mit den Teilnehmern des Runden Tisches: „Fonds für Beteiligung“ haben wir über mehrere Monate erarbeitet, welche Themenbereiche für Beteiligungsprozesse mit möglichst vielen Menschen mit vielfältigen Bedarfen angegangen werden sollen.

Breite Beteiligung bedeutet ein Wechsel der Perspektive

Perspektivwechsel: Welche Fragen müssen wir uns stellen?

Genau mit diesem Perspektivwechsel beschäftigen wir uns derzeit. Oftmals sind es ganz einfache Fragen, die einen selbst zu einer erweiterten Sichtweise führen. Daher möchte ich an dieser Stelle den Spieß zunächst einmal umdrehen und Sie bitten, sich Folgendes zu überlegen:

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen im privaten und im beruflichen Alltag?

Wenn Sie sich darüber einmal genauere Gedanken machen, dann kommt Ihnen möglicherweise das Thema Kinderbetreuung in den Sinn oder die Schwiegereltern, die mit ihrem Rollator täglich mit der Überwindung von Treppenstufen zu kämpfen haben. Vielleicht sitzen Sie im Rollstuhl oder Sie sind blind und können alltäglichen Hindernisse nicht ohne Weiteres überwinden? Oder Sie werden im Alltag mit Texten konfrontiert, die Sie aufgrund der Komplexität nicht verstehen können. Einfachere Formulierungen würden da manchmal schon weiterhelfen.

Wir haben uns mit Letzterem einmal genauer auseinandergesetzt.

Leichte Sprache – aber wie?

Nach der Arbeit am Runden Tisch stand fest: die entsprechende Dokumentation und auch das entstandene Positionspapier soll jeder Interessierte lesen können!

Damit war die Übersetzung beschlossen – jedoch welche?

Die Übersetzung der deutschen Sprache in leichtere und/oder die Übersetzung in eine Fremdsprache? Im Austausch mit unserem Grafiker entschieden wir uns dazu, dass wir die Übersetzung in eine Fremdsprache, nämlich ins Englische, nicht extra beauftragen. Dieser Service wird bereits von mehreren Internetanbietern kostenlos zur Verfügung gestellt.  Wir überprüften das Angebot und empfanden es als sehr hilfreich und nützlich.

Unsere Aufgabe war es nun, die Übersetzung der deutschen Sprache anzugehen. Und wieder waren damit weitere Überlegungen verbunden: Übersetzen wir die Texte in einfache oder in leichte Sprache?

Wir entschieden uns für die leichte Sprache, da diese für unsere Zwecke am geeignetsten schien. Zusammengefasst ist hierbei das Ziel: Einfache Wörter, kurze Sätze und Bilder einbauen, die den Text auflockern. In diesem Zusammenhang möchten wir auf den Ratgeber für Leichte Sprache hinweisen, in dem Sie möglicherweise Antworten auf offene Fragen zum Thema Leichte Sprache vorfinden. Er wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Leichte Sprache veröffentlicht.

Wir machten uns auf die Suche nach Anbietern für die Übersetzung in leichte Sprache. Hierfür sprachen wir mit der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung der Landeshauptstadt Stuttgart, Simone Fischer, die uns in diesem Punkt sehr gut weiterhelfen konnte. Schließlich arbeiteten wir mit der Samariterstiftung zusammen.

Bevor wir den entsprechenden Auftrag abschickten, wurden wir von der Samariterstiftung darauf hingewiesen, dass unsere Dokumentation mit etwa 30 Seiten per se sehr lang ist. Darum sollten wir uns überlegen, ob es den Inhalt betreffend in Frage kommt, nur das kürzere Positionspapier zu übersetzen. Damit würden wir der Zielgruppe schon allein bezogen auf die Fülle an Text eine Erleichterung bieten. Ab diesem Zeitpunkt begann für uns ein Lernprozess im Hinblick auf die Übersetzung in leichte Sprache. Darüber hatten wir tatsächlich zuvor nicht nachgedacht. Wir nahmen an, dass die Übersetzung beider Texte nicht zu hinterfragen sei. Aber nein – hier fangen die Überlegungen schon an!

Wir nehmen für uns mit, dass wir zunächst die Frage stellen müssen: Was mute ich jemandem zu?

Die Übersetzung in leichte Sprache und was wir daraus lernen…

Übersetzung in Leichte Sprache: Ausschnitt aus der Übersetzung des Positionspapiers „Fonds für Beteiligung“

Die Samariterstiftung übersetzte den entsprechenden Text und schickte diesen an ihre Prüfgruppe. Wie uns am Telefon berichtet wurde, setzt sich diese Prüfgruppe aus Personen zusammen, die selbst einen Bedarf an der Übersetzung in leichte Sprache haben. Erst wenn die Prüfgruppe die Inhalte als verständlich ansieht und auch die Bilder als eine Stütze empfindet, dann wird der Text intern freigegeben. Dieser Schritt war uns so nicht bewusst. Es freut uns sehr, dass uns in diesem Zusammenhang die Rückmeldung von der Prüfgruppe erreichte: Wir möchten zum Thema Breite Beteiligung auf dem Laufenden gehalten werden!

Der übersetzte Text wurde uns schließlich mit der Bitte zugeschickt den Text daraufhin zu prüfen, ob er inhaltlich korrekt ist. Und ja, mit wenigen Ausnahmen – das war er! Der Text wirkte rein optisch viel lockerer als der ursprüngliche, da sehr viele Bilder eingebaut wurden. Auch die Sätze waren kürzer und ich fragte mich nach dem ersten Blick auf das Dokument: Sind hier wirklich alle Inhalte enthalten?

Monatelang haben sich meine Kollegen und ich mit dem Thema „Fonds für Beteiligung“ beschäftigt und uns dabei immer wieder die Frage gestellt: Wie können wir es einfacher beschreiben? Da ist es ein wirklicher „Aha-Moment“, wenn man die Übersetzung in leichte Sprache in der Hand hält. Im ersten Moment erscheint es gewöhnungsbedürftig – mir ging es jedenfalls so – wenn etwas sehr ausführlich umschrieben wird, was für einen selbst eigentlich selbsterklärend ist. Das gilt auch für das Umschreiben der Aussprache von Fremdwörtern, die in der Umgangssprache alltäglich genutzt werden. Im zweiten Moment denken Sie darüber nach und merken: Ja, das ist notwendig!

Beim Lesen stolperten meine Kollegin und ich darüber, dass Worte, die mehr als zwei Silben haben, im übersetzten Text durch einen Bindestrich getrennt wurden. Auf Rückfrage bei der Samariterstiftung erhielten wir die Antwort, dass Wörter in leichter Sprache verständlicher sind, wenn sie nur zwei Silben aufweisen. Daher wird hier mit Bindestrichen gearbeitet. Auch das ist eine neue Erkenntnis für uns.

Mit diesem kurzen Einblick in die Alltagsarbeit zur Breiten Beteiligung möchten wir Ihnen aufzeigen, dass wir uns alle auf neue Wege einlassen. Ich finde, dass es dabei noch viel zu lernen und zu verstehen gibt. Wichtig ist, dass wir uns trauen Fragen zu stellen und gegebenenfalls auch Stolpersteine in Projekten aufzeigen. Mit dem „Mut zur Lücke“ können wir die Breite Beteiligung verständlicher umsetzen und dann auch ablichten. Genau diese Gedanken werden wir künftig im Zuge der Arbeit an der Homepage www.breite-beteiligung.de weiter angehen!