VERANSTALTUNGSBERICHT: ERST BETEILIGEN, DANN ENTSCHEIDEN!

20. Januar 2020

Direkte Demokratie und Dialogische Bürgerbeteiligung clever kombinieren!

27.11.2019, Kapuziner Rottweil // Veranstaltungsbericht von Hanna Kasper

Oftmals machen Entscheidungsträger im kommunalen Bereich die Erfahrung, dass es vielen Bürgern nicht mehr reicht, alle vier oder fünf Jahre an den Wahlurnen mitzuentscheiden. Viele wollen kommunale Fragen aktiv mitgestalten. Mit der Reform der Gemeindeordnung sind zudem die rechtlichen Hürden für direkte Mitbestimmung gesenkt worden, etwa durch die Absenkung der Quoren bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Entscheider auf kommunaler Ebene müssen bei ihren Vorhaben mit dieser Herausforderung umgehen. Die Frage, die bei der Veranstaltung „Erst beteiligen, dann entscheiden!“ im Raum stand war: Wie kann ich Bürger so mitnehmen, dass ich einem möglichen Bürgerentscheid gelassen entgegenblicken kann? Wie kann ich direkte Demokratie und dialogische Bürgerbeteiligung gut miteinander verbinden?

Erfahrungen aus der Praxis

Oberbürgermeister Ralf Broß berichtete von Erfahrungen der Stadt Rottweil bei den Diskussions- und Entscheidungsprozessen zum Bau eines Gefängnisses und einer Fußgängerhängebrücke. Hier betonte er, dass eine Kombination von frühzeitiger dialogischer Bürgerbeteiligung mit direktdemokratischen Abstimmungen zu faktenbasierten und mehrheitlich akzeptierten Entscheidungen führen kann. Den Kollegen rät Oberbürgermeister Broß: „Unsere Aufgabe als Bürgermeister ist es, auszugleichen und zu befrieden. Das gelingt durch eine gute Beteiligung und die entsprechende Haltung: Auch mit Gegnern des Vorhabens auf Augenhöhe und wertschätzend umgehen, hinhören und versuchen, die Gegenargument zu verstehen. Trotzdem ist es wichtig, den eigenen Standpunkt klar zu kommunizieren, damit alle wissen wofür man steht.“

Bürgerentscheid = Denkzettel für die Politik oder hilfreiches Tool?

Viele machen die Erfahrung: Ohne Beteiligung kann es passieren, dass Bürger der Politik einen Denkzettel verpassen wollen und sich gar nicht mit dem Thema des Bürgerentscheids auseinandergesetzt haben. Sie stimmen dann, z.B. aufgrund einer allgemeinen Unzufriedenheit, gegen einen Vorschlag ab, welcher von Bürgermeister und Gemeinderat getragen wird. Was hier hilft, erläuterte Prof. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim:

  • Früh ins Gespräch kommen,
  • möglichst viele direkt einladen,
  • sich an der Diskussion zu beteiligen,
  • und aktiv in die Kommunikation gehen.

Er forscht u.a. zum Verhalten bei Bürgerentscheiden.

Die Kombination macht’s: gute Qualität in der Beteiligung und dann Bürgerentscheid!

„Wenn von vorneherein klar ist, dass am Ende der Beteiligung ein Bürgerentscheid oder eine Bürgerbefragung steht, diszipliniert dies die Diskussion. Das Wunschkonzert, vor dem sich Bürgermeister und Verwaltung oft fürchten, hat dann keinen Raum“, berichtet Hanna Kasper, Geschäftsführerin von translake GmbH von ihren Erfahrungen. Sehr diszipliniert was Finanzen und Ausgestaltung angeht entwickeln die Bürger dann in der Beteiligung einen Vorschlag, mit dem sie die Mehrheit der Bürgerschaft beim Entscheid überzeugen wollen, so Kasper weiter. Dies wurde beispielsweise an ihrem Thementisch diskutiert, genauso wie konkrete Vorhaben der Beteiligung und die Empfehlungen der Amtskollegen hierzu.

Und wie die Bürgerinitiative gut einbinden?

„Nur Füße still halten und hoffen, dass das Quorum nicht zustande kommt, ist keine gute Vorgehensweise, wenn sich eine Bürgerinitiative bildet. Diese Bürgerinnen und Bürger gilt es einzubeziehen, sie sind nicht politikverdrossen und möchten sich einbringen“, erläutert Ingeborg Gekle-Maier, früher in einer Bürgerinitiative aktiv, heute Gemeinderätin von Bündnis 90/die Grünen im Rottweiler Gemeinderat. Dass Eigeninteressen, z.B. als Anwohner, ein legitimer Grund sind, sich einzubringen, sollte man wertschätzend akzeptieren, so Gekle-Maier abschließend.

Dr. Miriam Freudenberger, Geschäftsführerin der Allianz für Beteiligung, fragte bei der Moderation des Podiums: Wie gelingt es, Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Politik und Verwaltung vorzubeugen? Tobias Hermann,  Pressesprecher der Stadt Rottweil, empfiehlt dazu: „Möglichst früh alle Fakten auf den Tisch! Es ist wichtig, glaubhaft zu vermitteln, dass man die Diskussion wünscht. Bürgerbeteiligung hilft dabei, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen – gerade auch die Befürworter, die sich oft zurückhaltender artikulieren als die Gegner von Vorhaben.“

Auch Dr. Edgar Wunder von Mehr Demokratie e.V. sieht einen Vorteil in der Kombination von dialogischer Beteiligung und direkter Demokratie: „Bürgerentscheid und Bürgerbegehren brauchen im Vorfeld Information und Dialog, das kann eine gute dialogische Beteiligung leisten.“

Wie gelingt es konkret? Thementische geben Antworten dazu

Wie können Kommunen schon sehr früh mit den Bürgern zu anstehenden Vorhaben ins Gespräch kommen? „Die dialogisch aufgebaute Bürgerbeteiligung kann ein guter Anlass hierzu sein“, so Dr. Christine Dörner, stellv. Vorsitzende der Allianz für Beteiligung. Stephanie Riester brachte hierzu einige Umsetzungsbeispiele mit und die Teilnehmenden besprachen am Tisch, wie so eine Bürgerversammlung bei ihnen im Ort funktionieren könnte.

„Zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sind eine gute Methode, um zusätzlich zu den Argumenten der Interessensvertreter weitere Sichtweisen zu sammeln und um die Diskussion auf eine sachliche Ebene zu bringen“, so Günter Posselt, Fraktionssprecher der CDU im Rottweiler Gemeinderat. Wie das konkret funktioniert, erörterte Nils Renkes, Projektleiter bei der translake GmbH, am Thementisch.

Wie gestalte ich eine Abstimmungsbroschüre fair? Wie können Bürger als Ortskundige den Prozess der Beteiligung gut begleiten? Diese Fragen konnten die Entscheidungsträger aus Kommunen ganz konkret an Fallbeispielen oder ihren eigenen aktuellen Herausforderungen diskutieren.

Ein weiterer Thementisch beschäftigte sich mit der Funktion einer „Begleitgruppe“ im Rahmen von Bürgerbeteiligung. In solch einer Gruppe kommen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft zusammen, wenn es darum geht, Bürgerbeteiligung vor Ort aktiv zu gestalten. Dies kann insbesondere dann besonders hilfreich sein, wenn vor Ort ein Bürgerentscheid ansteht. Dann können in der Begleitgruppe Befürworter wie Gegner des Themas gemeinsam mit der Verwaltung arbeiten, Informationen austauschen und die Zeit vor dem Bürgerentscheid gemeinsam gestalten.

„Was nehmen Sie von heute mit?“ Dies fragte Dr. Miriam Freudenberger am Ende der Veranstaltung. Darauf die Antwort einer Teilnehmerin: „Ich habe viel Information und Impulse mitgenommen. Das wird mir bei meinen Vorhaben vor Ort helfen.“