Nürtinger finden im Corona-Dialograum ins Gespräch zurück
Im innovativen Beteiligungsformat geht es um persönliche Erfahrungsberichte statt um klare Positionierung
Es ist ein häufig zitierter Befund: Die Anzahl polarisierender Themen nimmt immer weiter zu. Der Umgang mit der Corona-Pandemie, seit Ende Februar der Krieg in der Ukraine und die Folgen des Klimawandels. Es handelt sich dabei nur um eine Aufzählung von gerne gewählten Beispielen. Gerade auch vor Ort in den Nahräumen der Menschen führen diese Themen dazu, dass sich Menschen viel häufiger positionieren müssen – ob sie es wollen oder nicht. Ein Austausch auf Augenhöhe, in dem beiden Seiten in Ruhe über Gefühle und Erfahrungen hinter der eigenen Argumentation sprechen, kommt aber häufig zu kurz.
In Nürtingen hat eine Gruppe Engagierter das ebenso wahrgenommen. In Nürtingen zeigt sich das zum Beispiel deutlich in Montagsspaziergängen gegen die Corona-Maßnahmen oder in der zunehmenden Zahl von Leserbriefen, die keine zweite Meinung gelten lassen. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, wurde gemeinsam mit der Stadtverwaltung die Idee der Dialogräume geboren, die auch in einem Projektfilm festgehalten wurde.
40 Teilnehmende blicken auf Erfahrungen in der Corona-Zeit zurück
Grundlage des Konzepts ist die Wahrnehmung der emotionalen Haltung eines konkreten Gegenübers bei einem Gespräch über ein frei wählbares Thema. Zum Beispiel zum Thema Corona. An einem windigen Novemberabend kamen hierzu rund 40 Teilnehmende in die Nürtinger Kreuzkirche. Vorab wurden auch Zufallsbürger*innen mittels werteschätzendem Anschrieb über das Format informiert und zum Besuch aufgerufen.
Unter dem Titel „Dialog Raum in der Kreuzkirche – Leben in Nürtingen – in Zeiten von Corona“ nahmen auch wir von der Allianz für Beteiligung an besonderen „Nachbarschaftsgesprächen“ teil. Die Teilnehmenden tauschten sich nach stimmungsvoller Einführung durch die Moderation und einer auflockernden Zeichenübung zu folgenden Fragen aus:
– Was war das für ein Gefühl, als es vor 2 1/2 Jahren los ging mit Corona?
– Welches Gefühl hatten Sie in den letzten 2 Jahren dazu?
– Welches Gefühl haben Sie bei dem Gedanken an die Zukunft nach dieser Erfahrung?
Im Gespräch wurde in Kleingruppen miteinander gesprochen. Alle vier Personen pro Kleingruppe bekamen hierfür pro Frage jeweils drei Minuten Zeit. Und ganz wichtig: Eine Diskussion oder gar Bewertung des Gesagten fand nicht statt. Die Aufgabe der Zuhörenden bestand einzig in der Wahrnehmung des anderen und dessen Schilderungen. Schnell wurde auch am eigenen Tisch eine sich rasch aufbauende Verbundenheit zwischen, zum Teil sehr verschiedenen Menschen, seh- und spürbar. Obwohl die Schilderungen zum Teil weit auseinander gingen, die jeweiligen Gefühle des Kleingruppenmitglieds bewegten alle am Tisch.
In der Schlussrunde herrschte einhelliger Tenor: Das Format sollte wiederholt werden
Ein bewegender Moment, dass man mit diesem Gefühl nicht allein war, zeigte die Schlussrunde. Einhelliger Tenor: Das hat gutgetan und war eine Dialog-Erfahrung, die es so schon lange nicht mehr gab. Durch die Kooperation mit der Stadtverwaltung vor Ort besteht die Chance, dass es nicht bei dieser Premiere bleiben muss. Weitere Themen der Stadtgesellschaft sollen perspektivisch in weiteren Dialogräumen besprochen werden.
Wir von der Allianz für Beteiligung kommen gerne wieder. Diese Premiere hat Lust auf mehr Dialog gemacht!