Gegen Armut ist ein Kraut gewachsen

10. Mai 2023

Allianz für Beteiligung gibt Input an der vierten Stuttgarter Armutskonferenz

Die Bekämpfung von Armut steht nicht erst seit gestern auf der politischen Tagesordnung. Dies zeigt allein, dass die Stadt Stuttgart am 9. Mai bereits ihre vierte Armutskonferenz im Stuttgarter Rathaus ausgerichtet hat. Über 400 Besucher aus (Lokal-)Politik, Wirtschaft, Wohlfahrtsverbänden und der Zivilgesellschaft zeigten, dass auch die Menschen in einer der wohlhabendsten Regionen Deutschlands das Thema sehr ernst nehmen.

Auch die Allianz für Beteiligung war zur Konferenz eingeladen und beteiligte sich neben einem Infostand für die Teilnehmenden auch mit einem eigenen Input (eine Gesamtversion finden Sie zum Ende des Beitrags) und im Rahmen der abschließenden interaktiven Expert*innendiskussion. Der erste Vorstand der Allianz für Beteiligung, Wolfgang Klenk, erläuterte in diesem Rahmen, dass die Bekämpfung der Armut nur als gemeinsamer gesellschaftlicher Kraftakt gelingen kann.

Um eine Breite Beteiligung überhaupt möglich zu machen, muss an dieser großen Aufgabe jedoch in einem Vorschritt noch intensiv gearbeitet werden. Dies ließ sich auch den Ergebnissen der sechs dezentralen Foren am Vormittag entnehmen. Menschen in Armut müssen sich meist um viel dringendere Themen kümmern als die nächste Bürgerinformationsveranstaltung in der Stadthalle. Deshalb hatten die Foren das Ziel, “Strategien gegen Armut in Stuttgart” zu entwickeln. Dabei wurden unter anderem Themen betrachtet und diskutiert, wie zum Beispiel eine bessere Arbeitswiedereingliederung von (Langzeit-)arbeitslosen, höhere Löhne sowie angemessene Kinderbetreuungsgelegenheiten gesamtgesellschaftlich erreicht werden.

 

Als Allianz für Beteiligung hatten wir die Chance im Forum “Soziale und kulturelle Teilhabe” mitzuarbeiten. Diesem, wie auch allen weiteren Foren, ging eine mehrmonatige Arbeitsphase voraus in der Ideen gesammelt, Lösungsansätze durchdacht und Maßnahmen für die Zukunft erarbeitet wurden. Im genannten Forum im speziellen, wie es gelingen kann, bestehende Transferleistungen besser und zielgerichteter an berechtigte Personen zu adressieren und kommunizieren. Außerdem auch, wie Stigmatisierung entgegengewirkt werden kann oder welche weiteren (personellen) Unterstützungsleistungen für einen besseren Zugang erforderlich sind.

Weitere Forenthemen waren “Wohnen und Wohnraumversorgung”, “Aufwachsen in Armut”, “Arbeit: Weiterentwicklung der Arbeitsgelegenheiten”, “Gesundheit: Nur nicht krank werden!” und “Gesundes und nachhaltiges Essen für ALLE”.

Wir bedanken uns bei der Stadt Stuttgart für die Einladung und nehmen viele wichtige Impulse mit für unsere (Beteiligungs-)Arbeit. Die Gesamtdokumentation zur Veranstaltung wird zeitnah unter Armutskonferenz | Landeshauptstadt Stuttgart veröffentlicht.


Impuls mit sieben Thesen auf der 4. Stuttgarter Armutskonferenz am 09.05.23
Titel: Zivilgesellschaftliche Initiativen und Beteiligung

Autor: Wolfgang Klenk, 1. Vorstand der Allianz für Beteiligung

1.

Armutsbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es geht dabei darum Not zu lindern, die Würde der Menschen zu bewahren und gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. In allen Bereichen spielen zivilgesellschaftliche Initiativen eine unverzichtbare Rolle.

2.

Man muss aber wissen: Unter dem Begriff Zivilgesellschaft werden Vereine, soziale Organisationen und Stiftungen, aber auch private Initiativen zusammengefasst. Schon diese Aufzählung zeigt, dass Zivilgesellschaft kein homogener Bereich ist: Er hat keine einheitlichen Strukturen, eher verbindende Werte, die sich am Gemeinwohl orientieren, als einheitliche Regeln und Verfahrensweisen. Die einzelnen Organisationen können in ihren Bereichen selbständig entscheiden, sich Ziele und Schwerpunkte setzen und nach eigenem Ermessen handeln. Zivilgesellschaft funktioniert komplett anders als der staatliche Sektor.

3.

Unbestreitbar ist: Zivilgesellschaftliche Organisationen können auf neu entstehende Krisen- bzw. Notlagen schnell reagieren – oft schneller als staatliche – und dazu gehören auch kommunale – Stellen. Das hat Gründe: Kleine Organisationen, Initiativen und sich neu formierende Gruppen richten sich an einem erkannten Bedarf aus und reagieren (sofort) darauf. Teilweise bilden sich Initiativen auch direkt in Reaktion auf ein neu erkanntes Problem. Größere (karitative) Organisationen sind nach ihrer Struktur und ihrem Selbstverständnis auf Krisenreaktion „gepolt“. Damit können sie schnell und effektiv reagieren. Das hat sich 2015 in der sog. Flüchtlingskrise gezeigt, aber auch während der Corona-Zeit und heute wieder angesichts des Krieges in der Ukraine und seiner Folgen. Staatliche Strukturen hingegen brauchen eine gewisse Zeit, können aber – nachdem Regeln und Verfahren definiert sind – konsequenter und flächendeckend reagieren.

4.

Zivilgesellschaftliche Organisationen können kurzfristig zusätzliche Ressourcen mobilisieren: Ihre Ehrenamtlichen arbeiten oft auf Grund der Einsicht in das, was notwendig ist bzw. erscheint, zusätzlich, ohne Bezahlung und ohne arbeitszeitliche Begrenzungen. Sie finden dafür häufig kreative und auf die lokalen Verhältnisse angepasste Formen.

Solche Hilfen entstehen oft schnell und kurzfristig. Ein Blick auf zivilgesellschaftliche Nachbarschaftshilfeinitiativen zeigt, dass dieses Engagement oft staatliche Leistungen ergänzt und für eine vollständige Versorgung betroffener Menschen unverzichtbar ist. Insofern sind sie unverzichtbarer Teil einer dauerhaften Versorgung. Die dort engagierten Menschen tun dies aus altruistischen Motiven und diesen so dem Gemeinwohl.

Und: Zivilgesellschaftlichen Organisationen fällt es leichter kurzfristig Spenden zu akquirieren und diese dann schnell zur Verfügung zu stellen.

5.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind oft „näher dran“. Dies gilt insbesondere dann, wenn in ihnen Betroffene mitarbeiten oder wenn es sich um Selbstorganisationen von Betroffenen handelt. Es gibt ein Recht auf Beteiligung der Menschen an der Gestaltung ihrer (unmittelbaren) Lebensumstände – im Sinne der UN-Menschenrechtserklärung sollen möglichst alle Menschen an der Gestaltung ihrer Lebensumstände teilhaben.

Nimmt man diesen Grundsatz ernst, müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass das Recht auf Teilhabe tatsächlich auch von jedem und jeder wahrgenommen werden kann und dabei spielen die Zivilgesellschaft und ihre Akteur*innen eine wesentliche Rolle.

6.

Wichtig ist, das Zusammenspiel zwischen Zivilgesellschaft und staatlichem bzw. kommunalem Handeln zu organisieren. Dazu braucht Zivilgesellschaft Strukturen und Sicherheiten, um arbeiten zu können. Staatliche Aufgabe ist es, die entsprechenden Rahmenbedingungen sicherzustellen.

7.

Vor allem aber geht es aber um die Frage, wie ein Zusammenwirken organisiert werden kann, wie zwei gesellschaftliche Sektoren die unterschiedlichen Handlungslogiken folgen, erfolgreich zur „Produktion sozialer Wohlfahrt“ beitragen können. Oder einfacher ausgedrückt: Wie können die unterschiedlichen Stärken beider Bereiche produktiv genutzt werden, wenn es keine hierarchische Steuerung zivilgesellschaftlicher Aktivität durch staatliche Stellen geben kann.

Wenn Steuerung und Anweisung nicht möglich sind, bleibt der Weg der „offenen Koordinierung“: die unterschiedlichen Partner (in diesem Fall zivilgesellschaftliche Organisationen, staatliche/kommunale Stellen und ggf. Politik) kooperieren dabei freiwillig auf einer gemeinsamen Plattform. Dort können sie ihre Möglichkeiten untereinander abstimmen und Handlungsstrategien verabreden. Ob und inwieweit die verabredeten Ziele erreicht werden, kann überwacht werden, indem sich die Akteur*innen mehrfach, bestenfalls kontinuierlich, treffen und dies gemeinsam tun.

Und noch ein Nachsatz: Ich glaube, Stuttgart ist auf einem guten Weg. Das haben auch die Beiträge des heutigen Tages gezeigt. Aber: auch was gut ist, kann noch besser werden.