Fachtag Breite Beteiligung
Ende Juni haben wir in Esslingen den Fachtag mit dem Themenschwerpunkt „Breite Beteiligung“ veranstaltet. Gemeinsam mit Personen aus Politik, Verwaltung, Vereinen und Verbänden sowie zivilgesellschaftlich interessierten Personen sind wir der Frage nachgegangen, wie wir Hürden in (Beteiligungs-)Projekten abbauen können, damit sich alle Menschen beteiligen können, wenn sie das wollen.
Das Programm des Fachtags war sehr praxisorientiert aufgebaut und setzte zu Beginn die Hintergründe für das Thema Breite Beteiligung bei der Allianz für Beteiligung in den Fokus. Wolfgang Klenk, Vereinsvorstand der Allianz für Beteiligung, führte die Teilnehmenden ein, wie sich das Thema Breite Beteiligung bei der Allianz für Beteiligung etabliert hat. Relevanz und Notwendigkeiten für Bemühungen waren, wie auch in der UN-Menschenrechtskonvention festgeschrieben, dass Teilhabe ein grundlegendes Menschenrecht ist. Damit hat jede*r theoretisch das Recht, am gesellschaftlichen und politischen Leben beteiligt zu werden. Darauf fußt auch das Verständnis und die Überzeugung der Allianz für Beteiligung: Hürden von Beteiligung müssen so niedrig gehalten sein, dass jede Person sich beteiligen kann, wenn sie das möchte. Leider ist dies in der Realität allerdings noch nicht der Fall. Gesellschaftliche Ungleichheiten spiegeln sich beispielsweise in der Wahlbeteiligung wider: Mit zunehmender Armut sinkt der Vertrauensverlust in das demokratische System und hat damit direkte Auswirkung auf die (Wahl-)Beteiligung der Menschen vor Ort. Zudem gehören zu den Hinderungsgründen an Beteiligung auch Sprachbarriere, fehlende Barrierefreiheit, Mobilität und viele weitere. Das bedeutet also: Es gibt noch viel zu tun auf dem Weg zu einer Beteiligung all derer, die sich beteiligen möchten.
Selbstwirksamkeit als Schlüssel?
Anschließend an die Einführung von Herrn Klenk konnten die Teilnehmenden bei einem Impuls der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zum Thema Selbstwirksamkeit erfahren, wie gewinnbringend Selbstwirksamkeitserfahrungen und -erwartungen auf dem Weg zu Breiter Beteiligung sind. Tamara Schneider und Johannes Ulbrich referierten im Duo für das Projekt „Läuft bei Dir!“ der LpB und setzten sich gemeinsam mit den Teilnehmenden sowohl mit Chancen als auch mit Grenzen des Konzepts auseinander. Unter Selbstwirksamkeit wird das Vertrauen in die eigene Person verstanden. Dazu gehört sowohl die Tatsache, dass eine Person etwas aus eigener Kraft bewirken kann, als auch wie sie das kann – nämlich aufgrund individueller Fähigkeiten. Eng damit verknüpft ist die Selbstwirksamkeitserwartung. Diese bezeichnet den bewussten Glauben einer Person daran, eigene Handlungen so zu planen und umzusetzen zu können, dass künftige Situationen ebenfalls gemeistert werden können. Selbstwirksamkeit bezieht sich insgesamt sowohl auf Gedanken, Handlungen als auch auf Gefühle. Beeinflusst werden kann Selbstwirksamkeit durch eigene und beobachtete Erfahrungen, durch Ermutigung oder auch durch die emotionale Erregung.
Selbstwirksamkeitserfahrungen und Selbstwirksamkeitserwartungen haben damit auch direkten Einfluss auf die Demokratie und auf Beteiligung. Denn wenn Menschen nicht daran glauben, dass ihre Handlungen eine Wirkung entfalten können, ist es unwahrscheinlich, dass sie handeln werden. Selbstwirksamkeitserfahrungen sind also relevant, um Mut und Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu bekommen und um für sich und die eigenen Werte (gesellschaftlich und politisch) einzustehen.
Praxis am Nachmittag
Am Nachmittag konnten die Teilnehmenden in Workshops vertieft einsteigen. Neben konkreten Methodenwissen zum Thema Selbstwirksamkeit wurden Praxisprojekte der EFAS und der Straßenuniversität vorgestellt. Außerdem konnten sich die Teilnehmenden mit den Anforderungen an barrierefreie Homepages und Social Media Auftritte vertraut gemacht.
Projekte der Neuen Arbeit
Zu Beginn der Einheit „Beispiele aus der Praxis“ stellten die fünf Referentinnen Sonja Gaidusch, Hannah Gröner, Oya Gürkan, Marta Krone und Rebecca Lo Bello ihre Projekte vor. Die Straßen-Universität Stuttgart – vorgestellt durch Hannah Gröner – ist ein Projekt von NEUE ARBEIT gGmbH und zeichnet sich durch ihre aufsuchende Beteiligung aus, wodurch sie möglichst vielen Menschen durch ein buntes Programm ihre Botschaft nahebringen: BILDUNG FÜR ALLE MIT ALLEN. Neben Bewegungsangeboten finden bei der Straßen-Universität Stuttgart auch Stadtführungen mit politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Schwerpunkten statt sowie Koch- und Malkurse. Das Programm insgesamt ist sehr breit gefächert. Dies liegt auch daran, dass die Botschaft des Programms gelebt wird: Jede*r kann sich bei den Organisator*innen der Straßenuniversität melden und dort eigene Angebot einbringen. Denn hier wird das Motto gelebt: Jede*r ist Expert*in für irgendetwas und davon sollen die anderen Teilnehmenden profitieren.
Der EFAS – ebenfalls Teil von NEUE ARBEIT und vorgestellt durch Rebecca Lo Bello – setzt sich insbesondere in seinen Projekten für Demokratieberatung und die Einbeziehung von Menschen in prekären Lebenslagen (beispielsweise von Langzeitarbeitslosen) ein. In den Projekten spielt Selbstwirksamkeit ebenfalls einen großen Stellenwert: Die Projekte treffen denselben Nerv, wie der Impuls von Wolfgang Klenk am Vormittag: Unter Armutsbetroffenen ist die Nichtwähler*innen-Quote besonders hoch. Armutsbetroffene fühlen sich in Parlamenten nicht repräsentiert und haben nicht das Gefühl, dass ihre Interessen Berücksichtigung finden. Daran möchte EFAS arbeiten und versucht durch Austauschräume den Dialog zwischen Politik und Armutsbetroffenen anzuregen. Im Detail geht es dabei um die Entwicklung und Durchführung von Dialogformaten. Dadurch erhalten Armutsbetroffene die Möglichkeit ihre Anliegen zu artikulieren und Politiker*innen werden durch diese Austauschräume wieder sensibilisierter für Interessen und Anregungen armutsbetroffener Personen.
An die Projektvorstellung schloss eine Diskussion darüber an, was Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Ideen sind, Menschen in prekären Lebenslagen besser erreichen und einbinden zu können. Dazu zählen generell Begegnungen mit Menschen in prekären Lebenslagen und aufsuchende Angebote. Damit werden die Hürden verringert und Personen fühlen sich wahrgenommen.
Mediale Barrierefreiheit
Eine weitere Einheit gestaltete Dimitrios Livadiotis, Leiter der Überwachungsstelle für mediale Barrierefreiheit des Landes Baden-Württemberg. Er stellte den Teilnehmer*innen Anforderungen an die mediale Barrierefreiheit von Internetseiten und Apps vor. Dass dies ein äußerst wichtiges Thema ist, ergibt sich allein schon aufgrund der geltenden Rechtslage: Seit 2020 müssen öffentliche Stellen ihre Internetseiten und seit 2021 auch ihre Apps barrierefrei ausgeben.
Soweit die Theorie: Die Teilnemer*innen staunten nicht schlecht, als sie im Workshop die Zahl erfuhren, wie viele öffentliche Internetseiten alle 137 Einzelanforderungen bereits erfüllen. Kurze Antwort: Keine. Livadiotis ermutigte alle Anwesenden, sich trotzdem auf den Weg zu machen. Allein schon aufgrund der großen Personenanzahl, die von der Barrierefreiheit profitiert. Die Gruppe umfasst blinde und sehbehinderte Personen genauso, wie Gehörlose und Schwerhörige oder auch Menschen mit Photosensitivität.
Stärkekarten
In der dritten Einheit setzten sich die Teilnehmenden vertiefter und noch praxisorientierter mit einer Methode zur Ermöglichung von Selbstwirksamkeit auseinander. Anhand von sogenannten Stärkekarten erarbeiten die Teilnehmenden sowohl Personal-, Sozial-, Methoden-, als auch Fachkompetenz. Damit können spielerisch persönliche Ressourcen und Fähigkeiten erkannt, verstanden und vertieft werden. Durch die Karten gelingt es, abstrakte Stärken, praxisnah und anschaulich zu verstehen und auf die eigenen Stärken zu übertragen. Dadurch ist eine ressourcenorientierte Auseinandersetzung mit Stärken, aus welchem sich ein persönliches Stärkenprofil ergeben kann, möglich.
Gemeinsames Weiterdenken für Breite Beteiligung
Beim letzten Programmpunkt war es uns als Allianz für Beteiligung wichtig, vom Wissen, den Vorerfahrungen und den Ideen der Anwesenden zu profitieren. Deshalb haben wir uns zu verschiedenen Fragestellungen rund um das Themenfeld Breite Beteiligung in offenen Kleingruppen ausgetauscht und Anregungen gesammelt. Thematisiert wurden dabei Fragestellungen zu den Themen „Zielgruppen und Hürden“, „Kenntnisse und Rahmenbedingungen“ sowie „Materialien und Aufbereitung“. Im Ergebnis zeigt sich: Wichtig sind zielgruppengerechte Ansprache und die breite Bewerbung von Angeboten. Ergänzend dazu ist für viele Personen Vertrauen und Sicherheit ein wichtiger Baustein, um sich zu beteiligen. Das ist ein langer Weg, der langsam und verantwortungsbewusst gegangen werden muss und der durch Brückenpersonen einfacher bestritten werden kann. Zudem ist es wichtig, sich selbst persönlich und als Organisation immer wieder zu hinterfragen. Dazu können auch die fehlenden Zielgruppen gezielt befragt werden. Der Austausch, warum sie sich zu einer Veranstaltung nicht anmelden, kann helfen, sowohl das Gefühl zu vermitteln, dass sie gesehen werden, als auch das Gefühl zu vermitteln, dass Hürden aktiv abgebaut werden sollen, dies schafft vertrauen. Es wurde deutlich: Es gibt zwar noch viele Hindernisse für Breite Beteiligung, es sind allerdings auch viele Ideen und viel Wissen vorhanden, was es braucht, um diese abzubauen.
Damit endete ein intensiver und erfolgreicher Tag in Esslingen, bei welchem wir viele Impulse erhalten und auch viele neue Kontakte knüpfen konnten.
Die vielen wertvollen Anregungen des gesamten Tages werden in unsere weitere Arbeit am Thema Breite Beteiligung einfließen. Melden Sie sich gerne bei uns, wenn Ihnen zum Thema noch weitere Impulse und Anregungen für uns einfallen. Wir freuen uns auch über jede Person, die mit uns zu diesem Thema im Austausch bleiben möchte!